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IHK Trier


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01.04.2019

Kompetenz jenseits von Grenzen


Dieser Text ist vom 01.04.2019 und könnte inhaltlich veraltet sein.

Wie Flüchtlinge und Migranten den regionalen Arbeitsmarkt erweitern

Gegen das Geschäftsrisiko durch Fachkräftemangel nutzen Unternehmen inzwischen viele Strategien. Ein Weg kann sein, Mitarbeiter oder Auszubildende aus dem Ausland zu gewinnen. Und mit sorgfältiger Planung sind hier Erfolge möglich.

Kompetente Mitarbeiter gibt es keineswegs nur in Deutschland, vielmehr werden sie hierzulande sogar zum seltenen Gut. Der Fachkräftemangel ist längst in der Region angekommen, wie es unter anderem die gemeinsamen Konjunkturumfragen von Industrie- und Handelskammer und Handwerkskammer Trier offenlegen. Kaum verwunderlich also, dass sich Unternehmen auch nach Menschen von jenseits der bundesrepublikanischen Grenzen umschauen, die eine Ausbildung oder Arbeitsstelle antreten möchten.
Auf den ersten Blick ein simples Angebot-Nachfrage-Modell: Auf beiden Seiten, bei deutschen Unternehmen und ausländischen Arbeitnehmern, gibt es Interessenten. In der Praxis kommen allerdings staatlich-rechtliche Hürden, Sprach- und Kulturbarrieren sowie zahlreiche organisatorische Herausforderungen hinzu. Wie der Weg trotzdem funktionieren kann, zeigen verschiedene Initiativen in der Region.

Deutschkurse bleiben wichtig

Für Bernhard Clemens ist die oberste Priorität eindeutig: „Sprache“. Diese Erfahrung hat sich für den Geschäftsführer der Clemens GmbH & Co. KG in den vergangenen Jahren herauskristallisiert. Sein Unternehmen hatte nach dem großen Asylbewerber-Zustrom 2015 früh auf die Einbindung der Neuankömmlinge in Ausbildungsplätze gesetzt und dafür unter anderem eigene Deutschkurse organisiert. Aktuell sind zwölf Flüchtlinge aus Syrien, Somalia, Armenien und Eritrea bei Clemens unter Vertrag, fünf davon in Ausbildung. Sie besetzen Azubi-Plätze, die angesichts der Bewerberlage ansonsten leer geblieben wären, meint der Geschäftsführer. „Wir wären heute nicht da, wo wir sind, wenn wir nicht auf die Flüchtlinge gesetzt hätten“, zieht Clemens eine eindeutige Bilanz.
Einfach war und ist es dennoch nicht. Ein Bemühen sei von staatlicher Seite zwar stets vorhanden gewesen, erkennt der Unternehmer an – der Entwicklung hinke man aber hinterher. Zunächst waren es die Sprachkurse, die nicht in ausreichender Zahl angeboten wurden. Dies habe sich inzwischen entschärft, gerade in der Anfangszeit sei es aber ohne eigene Kurse im Unternehmen gar nicht gegangen. Die damals geschaffenen Angebote behält Clemens bei. Denn es habe sich gezeigt, dass die Sprachkenntnis oft zur größten Hürde wird – gerade im theoretischen Teil der Ausbildung.
Mittlerweile hat mit dem Armenier Edgar Sargsyan der erste der „2015er-Flüchtlinge“ mit erfolgreicher Prüfung seine Ausbildung bei Clemens beendet. „Jetzt fehlt ihm und uns aber die Planungssicherheit, da sein Asylantrag zwischenzeitlich abgelehnt wurde“, thematisiert Bernhard Clemens die nächste Schwierigkeit. Auch beim Aufenthaltsrecht sieht der Unternehmer nur ein zögerliches Voranschreiten des Staates. Die „3+2-Regel“, die Asylbewerbern für die Zeit ihrer Ausbildung und zwei Jahre Anschlussbeschäftigung den Aufenthalt sichert, sei ein richtiger Schritt gewesen. Für eine längerfristige Planung reiche er indes noch nicht aus. Und er kam aus Sicht des Unternehmers in Wittlich zumindest für die eigene Region ein wenig zu spät. Durch die vielen rechtlichen Unsicherheiten hätten viele Unternehmen gezögert, rasch Flüchtlinge anzustellen. In der Zwischenzeit seien diese dann überwiegend in die deutschen Großstädte abgewandert und stünden als Arbeitskräfte für die regionale Wirtschaft kaum noch zur Verfügung. „Von staatlicher Seite hätte man das Thema Flüchtlinge und Arbeit strukturierter und zügiger angehen müssen“, sagt Clemens. Jetzt sei vielerorts diese Chance bereits vertan, weil dort gar keine Flüchtlinge mehr wohnen.

Grundlagen für Aufenthaltsstatus kennen
Schwierigkeiten wie diese kennt Mihaela Milanova. Sie berät bei der IHK Trier Mitgliedsbetriebe zur Beschäftigung von ausländischen Fachkräften und ebenso Menschen mit Flüchtlings- oder Migrationshintergrund zur Aus- und Weiterbildung. Der bloße Wille, zu arbeiten, beziehungsweise einen Arbeitsplatz mit einem ausländischen Mitarbeiter zu besetzen, ist keine ausreichende Erfolgsgrundlage, warnt Milanova. „Wer sich nicht frühzeitig über die zahllosen Fallstricke informiert, kann leicht über sie stolpern“, meint sie.
Dabei sei es zunächst einmal wichtig, zu unterscheiden, welcher rechtliche Rahmen für den Aufenthalt des potentiellen Arbeitnehmers in Deutschland gilt. Ein Flüchtling/ Asylbewerber ist für den Gesetzgeber eine völlig andere Sache als ein Mitarbeiter aus dem EU-Ausland oder ein Arbeitsmigrant mit Visum aus einem Drittstaat. In jüngeren Jahren seien diese Themen in den gesellschaftlichen Debatten wild miteinander vermengt worden. Doch das ändere nichts an den bestehenden Gesetzen und dem damit verbundenen, unterschiedlichen Grad an Planungssicherheit für den Arbeitgeber. Besonders kompliziert wird es bei Flüchtlingen, da hier zunächst Warte- und Übergangsperioden die Arbeitsmöglichkeiten einschränken und anschließend zumeist langwierige Entscheidungsverfahren anstehen, die stets die Gefahr einer Beendigung des Aufenthaltsstatus nebst Abschiebung beinhalten.
Erheblich einfacher stellt sich die Ausgangslage mit Mitarbeitern aus EU-Ländern dar. Hier braucht es dank der EU-weiten Wohnsitz- und Arbeitnehmerfreizügigkeit keine gesonderte Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis. Gleichermaßen gilt dies für Menschen aus Island, Norwegen, Lichtenstein und der Schweiz, da mit diesen Ländern Assoziierungsabkommen bestehen. Trotz der rechtlichen Sicherheit ist es kein Selbstläufer Mitarbeiter oder Azubis aus dem EU-Ausland anzuwerben beziehungsweise ans eigene Unternehmen zu binden.

An Integration von Mitarbeitern mitwirken
Einige Erfahrung mit erfolgreichen Strategien hat man bei der IDEAL Fensterbau Weinstock GmbH gesammelt. Der Fensterbauer mit Sitz in Wittlich verstärkt schon seit einiger Zeit seinen Fachkräftepool mit Angestellten aus dem Ausland, insbesondere aus Südost- und Osteuropa. „Wir haben nur positive Erfahrungen mit unseren Mitarbeitern gemacht. Natürlich ist es wichtig, an der Integration der Mitarbeiter mit zu wirken“, sagt Geschäftsführerin Sabine Weinstock. Zu diesem Zweck wurden verschiedene Maßnahmen angestoßen. Der wichtigste Schritt sei gewesen, eine Mitarbeiterin einzustellen, die sich hauptverantwortlich um die Angestellten mit Migrationshintergrund kümmert. Derzeit übernimmt diese Aufgaben Jurgita Samoskiene. „Sie unterstützt bei Amtsbesuchen und beim Ausfüllen diverser Formulare, sie führt einmal täglich einen Deutschkurs mit allen nicht-deutschsprachigen Mitarbeitern durch und ist natürlich auch im Alltag die erste Ansprechpartnerin“, erläutert Weinstock.
Eine weitere Hürde, die IDEAL Fensterbau aus dem Weg geräumt hat, ist das Thema Wohnmöglichkeiten. Eigens für die Mitarbeiter aus dem Ausland wurde ein Hotel erworben. Dort können sie Zimmer anmieten und müssen sich so nicht parallel zur Arbeitsstart in Deutschland auch noch mit der Wohnungssuche beschäftigen. Das Hotel sei voll ausgestattet und könne für kleines Geld bezogen werden, wirbt das Unternehmen. Als dritte Komponente für gelingende Integration kommt aus Sicht von Weinstock zu Sprachförderung und Wohnraum hinzu, Alltagsangebote zu schaffen. Hier arbeite man eng mit dem DRK zusammen. Über diesen würden beispielsweise Angebote in ortsansässigen Vereinen, von Freiwilliger Feuerwehr bis Sportverein, vermittelt.
Aktuell plane IDEAL Fensterbau in Zusammenarbeit mit dem DRK die Ausbildung eines jungen Herrn aus dem EU-Ausland zum Maschinen- und Anlagenführer. Voraussetzung hierfür sei das Erreichen des B2-Levels im Deutsch-Sprachkurs. „Auch hierbei unterstützen wir“, kündigt Weinstock an. Aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre leitet sie eine klare Empfehlung für alle ab, die den Einsatz ausländischer Fachkräfte planen: „Die Mitarbeiter müssen beim Erlenen der deutschen Sprache unterstützt werden! Die staatlich geförderten Kurse reichen oft nicht aus und unterstützen nicht ausreichend im Alltag oder sind oft auch nicht berufsbezogen.“

Indonesien trifft Mosel

Mit solch umfassenden Unterstützungskonzepten und sorgfältiger Vorplanung lassen sich auch aus Drittstaaten außerhalb der EU Fachkräfte gewinnen. Oder auch junge Menschen für eine Ausbildung nach Deutschland bringen, wie im Weinromantikhotel Richtershof in Mülheim. Dort erlernen seit Anfang August 2018 Poibe Butarbutar und Meylin Panjaitan das notwendige Know-how als Restaurantfachfrau. Die beiden 23-jährigen Frauen haben in Indonesien ihr Abitur gemacht und sich für eine Ausbildung in Deutschland entschieden.
Der erforderliche Kontakt einmal um die halbe Welt herum an die Mosel, kam über den Vermittlungsexperten Wolfgang Nickel zustande. Nickel leitete selbst einen Gastronomiebetrieb in Großpaschleben in Ostdeutschland, stand vor einigen Jahren wegen Fachkräftemangel kurz vor der Schließung. Doch dann kamen ihm seine privaten Kontakte nach Indonesien zugute, die er bei seinen regelmäßigen Urlaubsaufenthalten dort geknüpft hatte. Viele Familien bekundeten ihr Interesse, ihren Kindern eine Ausbildung in Deutschland zu ermöglichen. Die Win-win-Lösung funktionierte für Nickel so gut, dass er dazu überging, sie an andere zu vermitteln. „Über einen Fernsehbeitrag hat ein Kollege von Nickels Arbeit erfahren und so sind wir ebenfalls auf das Thema gestoßen“, erzählt Andrea Mereu, Direktorin des Weinromantikhotels Richtershof. Nach einer Infoveranstaltung für das Gastrogewerbe in der Berufsbildenden Schule Bernkastel-Kues entschieden sich insgesamt fünf regionale Betriebe für eine Zusammenarbeit mit Nickels Agentur.
Eine solche Entscheidung für die Kooperation mit einem Drittstaat ist für den Ausbildungsbetrieb in einem relativ frühen Stadium bindend. „Rund ein halbes Jahr sollte man für den Vorlauf einplanen“, rät Mereu. Damit die Indonesier bei der deutschen Botschaft in ihrer Heimat das passende Visum erhalten können, muss der Ausbildungsvertrag bereits im Vorfeld abgeschlossen sein. Ebenfalls müssen Kost und Logis sichergestellt sein. Die Rekrutierung geeigneter Azubis im südostasiatischen Staat übernahm im konkreten Fall Vermittler Nickel. Er kümmerte sich auch darum, dass die Indonesier bei der Ankunft in der Bundesrepublik mit der erforderlichen Basisausstattung rund um Haftpflichtversicherung und Co. versorgt werden. Gleich im Anschluss ging es dann weiter zum Ausbildungsbetrieb.

Mentorin begleitet im fremden Land

Im Richtershof begrüßte das Team Poibe Butarbutar und Meylin Panjaitan als neue Verstärkung und Andrea Mereu stand seitdem als Mentorin an ihrer Seite. So konnte sie direkt Unterstützung bei wichtigen Grundvoraussetzungen leisten: von der Anmeldung beim Einwohnermeldeamt bis hin zur Begleitung am ersten Schultag. Für Neuankömmlinge in einem fremden Land bedeuten Behördengänge nicht selten eine große Herausforderung, denn auch ein Sprachkurs bereitet nur bis zu einem gewissen Grad auf Amtsdeutsch vor. Die beiden Indonesierinnen hatten, wie alle Teilnehmer aus Nickels Vermittlungsprogramm, in ihrer Heimat einem Deutschkurs am Goethe-Institut absolviert. „Trotzdem war die Verständigung anfangs eine gewisse Hürde, aber wir haben uns schon arrangiert“, beurteilt die Hotel-Direktorin die Problematik als lösbar. In der Berufsschule hat man unterdessen eine eigene Klasse für die in der Region insgesamt 18 Azubis aus Indonesien eingerichtet. Dadurch wurden bedarfsorientierte Lernangebote wie zusätzliche Deutschstunden möglich.
Kulturbedingte Unterschiede sollte der Ausbildungsbetrieb ebenfalls auf dem Schirm haben. Auch hier hilft es, eine Mentorin als feste Ansprechpartnerin einzurichten. „Manchmal sind es ganz banale Alltagsdinge, über die wir gar nicht nachdenken“, gibt Mereu ihre Erfahrungen wider. Beispielsweise könne bei indonesischen Azubis ein Reiskocher als Basisausstattung fürs Zimmer nicht schaden – das Grundnahrungsmittel gehöre in der dort landestypischen Küche einfach dazu. Und vertraute Gerichte können auch gegen Heimweh helfen, das am anderen Ende der Welt schon mal aufkommt.
Grundsätzlich vermittelt Wolfgang Nickel die Indonesier auch nur mindestens zu zweit, damit sie in Deutschland immer einen Austauschpartner aus der Heimat haben. Ebenso gehört dazu, dass der Ausbildungsbetrieb einen Mentor stellt. „Mit einem solchen Ausbildungsvertrag geht man auch eine persönliche Verpflichtung ein“, sagt die Mentorin im Richtershof. Bei den aus Indonesien vermittelten Azubis handele es sich vielfach um Jugendliche ab 18 Jahren, die zumeist das erste Mal in ihrem Leben tausende von Kilometern von zu  Hause und ihrer Familie weg sind. Sie sind konfrontiert mit fremder Sprache, fremder Kultur, ungewohnten Wetterverhältnissen und vielem mehr. Deshalb zählt Andrea Mereu zur Mentoren-Aufgabe auch emotionale Unterstützung: „Das heißt für mich, selbst Mutter von zwei Kindern, automatisch auch bei Problemen unterstützen, im Krankheitsfall kümmern, bei Heimweh trösten und ansonsten einfach da sein, wenn etwas ist.“
Mit ihren beiden, neuen Azubis ist Mereu hochzufrieden, insbesondere lobt sie deren Einstellung: „fleißig, lernwillig, freundlich, Service-orientiert.“ Der Richtershof habe aufgrund der positiven Erfahrungen bereits weitere Ausbildungsverträge über den Indonesien-Kontakt abgeschlossen. „Diesmal haben wir uns für drei junge Männer entschieden, einer wird die Ausbildung zum Koch beginnen, die beiden anderen als Restaurantfachmänner“, kündigt die Direktorin an.
Die genannten Beispiele zeigen für IHK-Expertin Mihaela Milanova viele Stärken, aber auch Hürden bei der Rekrutierung ausländischer Fachkräfte auf. Interessierten Unternehmen bietet sie an, bei Fragen rund um rechtliche Rahmenbedingungen, internationale Online-Stellenbörsen, Partnern bei der Auslandsrekrutierung oder dem Aufbau eine Willkommenskultur im eigenen Betrieb zu beraten. Auch die Anerkennung von Berufsabschlüssen, die in anderen Ländern erworben wurden, gehört zu ihrem Aufgabenbereich. Schließlich soll die Qualifikation einer Fachkraft aus dem Ausland möglichst in vollem Umfang auch am neuen Arbeitsplatz in Deutschland zur Verfügung stehen.

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